Holger Schaeben


©Foto: Oliver Tjaden Wenn ich schreiben darf, freut sich das »Kind«. Wenn ich lesen darf, freut sich das Buch. Jetzt liegt mein Neues vor. Dass es gelesen werden will, versteht sich von selbst.

Als Hitler nach seinem Heimatland griff

Liebe Lesende,
inspiriert von einem Stolperstein, verlegt in Salzburg, Alter Markt 12, habe ich vor knapp zwei Jahren mit der Arbeit an meinem neuen Buch begonnen. Jetzt ist es fertig. Der »Anschluss« Österreichs an das »Deutsche Reich« im Jahre 1938 bildet die historische Kulisse. Ich habe die Ereignisse dieses Schicksalsjahres über 12 Monate hinweg verfolgt. Tag für Tag und immer wieder aus anderer Perspektive. Die Hauptakteure heißen Franz Krieger und Walter Schwarz. Die Geschichte des jüdischen Kaufhauses Schwarz am Alten Markt 12 ist untrennbar mit ihm verbunden. Während Walter Schwarz den Verfolgungen der Nationalsozialisten ausgesetzt ist, wird das 38er-Jahr ein Markstein in Kriegers Karriere sein. Der junge Salzburger Fotograf Franz Krieger stellt sich in den Dienst der Nazis und profitiert von den radikalen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Neben dem verfemten jüdischen Kaufmann Schwarz und dem aufstrebenden Bildberichterstatter Krieger, lasse ich bekannte Größen wie Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, Arturo Toscanini, Marlene Dietrich, Carl Zuckmayer und die Trapp-Familie auftreten, dazu zahlreiche Nazigrößen und einfache Bürger. Ich habe die Schicksale von Tätern, Opfern und Mitläufern zu einer vielstimmigen Chronologie der Ereignisse verwoben. Das »Anschluss-Jahr« 1938 literarisch zu verarbeiten, bedeutet von einem, in der Deutsch-Österreichischen Geschichte einmaligen historischen Jahr zu erzählen, dessen Ereignisse bis heute in Gesellschaft und Politik nachschwingen. 2018 wird ein besonderes Erinnerungsjahr sein, der »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich jährt zum achtzigsten Mal. In Österreich, Deutschland, aber auch darüber hinaus darf man eine verstärkte Aufmerksamkeit von Seiten der Medien und der Öffentlichkeit erwarten.

Ich habe zunächst die historisch belegten Fakten gesammelt, akribisch in öffentlichen wie privaten Archiven sowie in der Literatur recherchiert. Dabei habe ich versucht, Neues in Altem zu entdecken, bin auch weniger beachteten Hinweisen nachgegangen, habe danach gesucht, was andere vor mir übersehen haben könnten, habe Experten befragt. Das zu den Fakten. Auf der anderen Seite galt mein historisches Interesse dem Individuum. Ich habe mich den Menschen der Zeit mit dem Gespür eines forensischen Archäologen genähert, ihre Schicksale rekonstruiert und ihre Lebensspuren verfolgt. Wie schon in »Der Sohn des Teufels« habe ich in meinem neuen Buch klassische Geschichtsvermittlung mit den Mitteln der Erzählkunst verbunden. Meiner Verantwortung als Vermittler von Geschichte hatte ich dabei immer im Blick. Im Zweifel stand Faktum über Fiktion.

Das Jahr 1938 tritt als eines der ereignisreichsten Jahre Salzburgs deutlich aus der Geschichte der Stadt hervor. Beschäftigt man sich mit dem 38er-Jahr in Österreich näher, gerät man unversehens an die Bruchstellen der Österreichischen Geschichte. 1938 war ein Schicksalsjahr für alle Österreicher, für Juden und Minderheiten im Besonderen, aber auch für solche Zeitgenossen, die die Ereignisse für sich zu nutzen wussten. Schon vor Beginn des Jahres 1938 machten sich die Nationalsozialisten in den Städten Österreichs mit Aufmärschen und anderen Machtdemonstrationen breit. Durch skrupellose Störungs- und Zerstörungsaktionen, vor allem gegen Juden und deren Geschäfte, zeigten sie offen ihr Gewaltpotenzial. Bedeutender Widerstand gegen SA, SS und andere Vertreter nationalsozialistischer Polizeigewalt war schnell niedergeschlagen beziehungsweise fand kaum statt. Im Gegenteil: Die ideologische Hetze der Nazis fand in den Köpfen und Herzen der Menschen Anklang. Die Masse glühte vor Begeisterung. Zuspruch kam aus allen Bevölkerungsschichten. Mit der Annexion Österreichs durch Hitler, respektive dem »Anschluss« Österreichs an Reichsdeutschland am 12. März ´38, legten die Österreicher ihr Schicksal nahezu vollständig in die Hände der Nationalsozialisten. Im ganzen Land begrüßten die Menschen den »Anschluss« mit fast hundert Prozent Ja-Stimmen. Nachdem Hitler das Volk am 10. April 1938 hatte abstimmen lassen, hing die Existenz der Menschen in Stadt und Land an der braunen Macht. Fortan waren insbesondere Juden den Verfolgungen der Nationalsozialisten ausgesetzt. Die ihrer Freiheit Beraubten landeten entweder in den Folter-Zellen der Gestapo (Wien, Salzburg oder München) oder gleich im Konzentrationslager Dachau. Einigen gelang die Flucht. Andere verschwanden bei sogenannten Säuberungsaktionen oder starben eines gewaltsamen oder ungeklärten Todes. Auf dem Salzburger Residenzplatz fand die »einzige« Bücherverbrennung auf österreichischem Boden statt. Der Umsturz kannte jedoch nicht nur Verlierer. Er spülte auch etliche Profiteure an die Oberfläche; Mitläufer, Mitmacher, Opportunisten, Fanatiker. Das Spektrum reichte von jenen, die aus der neuen Machtlage gewisse persönliche Vorteile zogen, ohne sich ausdrücklich zu Politik und Taten der Nazis zu bekennen (wie Franz Krieger) bis hin zu solchen, die sich ideologisch verblendet mit Haut und Haar auf die Seite des NS-Regimes schlugen.

Inmitten dieser Unrechtszeiten, im Epizentrum von Willkür und Gewalt (und mitten im sommerlichen Jahr) fanden wie stets (seit 1920) die weltberühmten »Salzburger Festspiele« statt (23.7.- 31.8.1938). Auf dem Programm stand Musik, Kunst, Kultur – also Normalität. Mit einer Einschränkung, die das klassische Programm betraf: »Jedermann« und »Faust« wurden abgesetzt und Toscanini sagte sein Kommen aus politischen Gründen ab. Die Festspiele waren zugleich große Inszenierungsbühne für die neuen Machthaber. Für ein paar Wochen leuchtete Salzburg noch einmal im Licht der Kunst und Kultur. Die Stadt gab sich schöngeistig, weltoffen, sie feierte ihre Künstler, ihre berühmten Gäste und sich selbst. Die braunen Hetzer und Akteure des um die Festspiele herum stattfindenden menschenverachtenden »Geschichtsdramas« machten eine kurze Verschnaufpause.

Sofort nach den Festspielen schalteten die Nationalsozialisten auf »Vorkriegs-Modus« (noch ein Jahr bis zum 2. Weltkrieg) um. Die Gewaltherrscher verfolgten weiter konsequent ihre rassistischen und politischen Prinzipien. Die erste Ausgabe der »Salzburger Landeszeitung«, der amtlichen Zeitung der NSDAP des Gaues Salzburg, erschien im August. Im September fand die erste Verdunklungsübung statt. Die Ausstellung »Entartete Kunst« wurde im Salzburger Festspielhaus eröffnet. Es kam zu weiteren Verhaftungen und Deportationen. Walter Schwarz starb in München unter mysteriösen Umständen im Gestapogefängnis. Die Hitlerjugend sammelte für das Winterhilfswerk. Und Franz Krieger fotografierte auf dem Residenzplatz die ersten drei Prototypen des Volkswagen.


Mein Buch: Empfehlung Live zum 105. Geburtstag

Zum Thema Erinnerungskultur sprach Dr. Christoph Ferch (Fraktion SALZ) am 30. Mai 2018 im Salzburger Gemeinderat. Ein besonderer Anlass war gegeben: der 105. Geburtstag von Marko Feingold. Feingold ist der älteste Holocaust-Überlebende Österreichs und immer noch aktiver Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg. Ein Mensch, der des Erinnerns nicht müde wird. Die einen nennen es großartig, er nennt es seine Pflicht. Für mich war es eine Ehre, ihm mein Buch – aus den Händen von Christoph Ferch – überreichen zu dürfen. So war mein Geburtstagsgeschenk für Marko Feingold auch ein Geschenk für mich. Ich bedanke mich herzlich dafür.
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